Rainer Möllers

Aus Falschbeschuldigung
(Weitergeleitet von Montessori Prozess)
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Nach 120 Verhandlungstagen und mehr als zweieinhalb Jahren Prozess­dauer sprach das Gericht Rainer Möllers, einen ehemaligen Erzieher zweier Montessori-Kinder­gärten im westfälischen Borken und Coesfeld, frei - aus Mangel an Beweisen. Der Vorwurf: der 36jährige habe mehr als 50 seiner ehemaligen Schützlinge über Jahre aufs perverseste missbraucht. Die Anklage basierte allein auf der Aussage der Kinder.[1]

„Fälle von massenhaftem Kindsmissbrauch gibt es nicht“, meint der Berliner Pädagogik­professor Reinhart Wolff. Beschuldigungen wie die gegen Möllers seien das Resultat eines „an Besessenheit grenzenden Verfolgungs­eifers“. Sobald der vage Verdacht auf sexuellen Missbrauch auftauche, entstehe eine Atmosphäre der Verfolgung. Ein „institutioneller Paranoid“ führe dazu, dass Psychologen und Eltern für die Tat nur noch den Beweis suchten.

Die Beratungsstellen für sexuellen Missbrauch wie Zartbitter und Wildwasser bestreiten den Vorwurf vehement. „Weit häufiger als Falsch­beschuldigungen ziehen Kinder, die tatsächlich missbraucht worden sind, ihre Aussagen wieder zurück“, weiß Dirk Bange von Zartbitter Köln. Die meisten Fälle von sexuellem Missbrauch gelangten nicht vor Gericht.

Da die Angeklagten meist schweigen und Beweise wie Verletzungen oder Spermaspuren selten existieren, sind viele Richter allein auf die Aussagen der Kinder angewiesen. Professionelle Betreuer, die meist als erste das möglicherweise missbrauchte Kind befragen, stellen frühzeitig die Weichen, ob die Aussagen vor Gericht bestehen. „Die Diagnostik“, sagt Psychologieprofessor Burkhard Schade, „ist unsicheres Gelände.“ Ein objektives Instrumentarium zum Erkennen von sexuellem Missbrauch gebe es nicht. So streiten Sachverständige um die Methode zur Befragung mutmaßlicher Opfer.

Zielscheibe der Kritik sind Organisationen wie Wildwasser oder Zartbitter, die häufig erste Anlaufstellen für Betroffene sind. Die Gerichts­gutachterin Ursula Krück greift die feministischen Beratungsstellen scharf an. „Die Anhörungen von Zartbitter-Mitarbeitern machen die Aussagen von Kindern oft unbrauchbar.“ In dem Bemühen, das Schweigen der Kinder zu brechen, legten sie den Kindern „falsche Anlastungen“ in den Mund.

Den Vorwurf der suggestiven Befragung erhebt auch Schade. „Das Wildwasser-Prinzip der Parteilichkeit – was der Betroffene erzählt, ist wahr – widerspricht der wissenschaftlichen Neutralität.“ Das engagierte und daher distanzlose Herangehen „zerstöre“ nicht selten die Beweislage. Der Streit um die Methodik ist mehr als ein Disput unter Gelehrten. In Münster entschieden Zweifel an der „schicksalhaften ersten Befragung“ (Richter Walden) den Prozeß. „Das Problem“, schreibt Psychologe Günter Köhnken im für den Freispruch entscheidenden Gutachten, „liegt allein in der Art und Weise, wie die Kinder gefragt worden sind.“

Am Anfang war der Satz des damals vierjährigen Malte: „Rainer hat mir den Finger in den Po gesteckt.“ Eine Freundin der Familie, eine Zartbitter-Mitarbeiterin, interpretierte die Äußerung als Hinweis auf sexuellen Mißbrauch. Die Eltern informierten die Leiterin des Kindergartens. Möllers wurde entlassen. Schon bald waren die Vorgänge im Montessori-Haus Topthema in den Kleinstädten. Die Väter und Mütter, schockiert und verunsichert, trafen sich regelmäßig zu Eltern­abenden, informierten sich gegenseitig, was bekannt­geworden war, befragten immer wieder ihre Kinder. Auch die Jungen und Mädchen erzählten sich untereinander Erlebtes und Erfundenes vom Tun im Kinderhaus. Die Aussagen der Kinder entwarfen ein Schreckensgemälde. Vorwürfe aus der Anklageschrift: Möllers habe den Mädchen Löffel und Bleistifte in die Scheide gesteckt, den Kindern Zahnbürsten, Spielzeugautos, Seife in den After eingeführt, er habe ihnen in den Mund ejakuliert, sie gezwungen, Kot und Sperma zu schlucken und andere Scheußlichkeiten mehr. Über die Phase der Verdächtigungen schreibt Psychologe Köhnken in seinem Gutachten: „Es wird nicht gefragt, ob überhaupt etwas geschehen ist. Es geht nur noch darum, zu klären, welche Kinder betroffen sind.“

Schließlich holten sich Kindergartenleitung und Eltern Hilfe beim Münsteraner Psychiater Tilmann Fürniß. Um zu klären, was welches Kind erlebt hatte, habe Fürniß die Fragestellung „Was könnte Rainer mit euch gemacht haben?“ empfohlen - laut Köhnken eine „Einladung zum spielerischen Konfabulieren“. „Wir wollten und wollen keine Realität schaffen, die nicht existiert“, sagt Yansa Schlitzer von Zartbitter Coesfeld. Sicherlich seien Fehler gemacht worden, doch die Ereignisse seien „Neuland“ für alle gewesen. Fehler mit Folgen. „Eltern sind auf Spurensuche gegangen“, resümiert Gutachter Köhnken, „und haben Finger­abdrücke verwischt.“ Am Ende des Mammutprozesses stellt der Vorsitzende Richter Walden resigniert fest: „Die Wahrheit haben wir nicht heraus­gefunden, und wir haben es nicht geschafft, die Beteiligten zu befrieden.“

Die Beteiligten, das sind die Kinder, von denen viele noch immer therapeutisch behandelt werden. Das sind die Eltern, die das Urteil nicht verstehen. Das ist der Beschuldigte, der 26 Monate in Untersuchungshaft gesessen hat und nun Anrecht auf eine Entschädigung von 20 Mark pro Tag hat.

Der Montessori-Prozess – hinterließ am Ende nur Verlierer: den freigesprochenen Möllers, der beruflich gebrandmarkt ist; die Kinder, die teilweise bis heute therapeutisch behandelt werden; die Eltern, die Möllers immer noch als Sexualtäter sehen.

PROZESSBEGINN: 13. 11. 1992
PROZESSENDE: 16. 05. 1995
ANKLAGE: sexueller Mißbrauch von über 55 Kindern
120 Verhandlungstage
120 Zeugen sagten aus
5 Gutachter wurden gehört

Einzelnachweise